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2016

Welt in uns

Dr. Ewald Bettinga

Als ich vor ca. einem 3/4 Jahr zum Hörer griff , um den Wunsch des Kunstvereins umzusetzen, mit Herrn Karabinskiy eine Ausstellung seiner Werke hier im Pavillon zu vereinbaren , war bei mir bereits durch die wenigen mir vorliegenden Abbildungen der Werke eine Faszination entstanden.

Eine Faszination, die beim Betrachten der Bilder sofort auftrat.

In meinem Versuch, mir selbst zu erklären, warum ich denn so augenblicklich fasziniert war, kam mir ebenso unvermittelt als erste Antwort in den Sinn: die Farbe!

Farbe ist nunmal ein zentraler Bestandteil der Malerei.

In der Kunsthistorischen Betrachtung finden wir in der Malerei einen über viele Jahrhunderte währenden Streit bezüglich der Wertigkeit der Farbe gegenüber der Linie. In der Renaissance auf der einen Seite die linienverfechtende Florentiner Schule mit Michelangelo und Raffael gegen die farbbetontere , venizianische Auffassung mit Tizian und Tintoretto (Färberlein) . Weiter im 17.Jahrhundert über Poussin gegen Rubens wurde dieser Kampf ausgefochten , bis hin zu Dominique Ingres gegen Delacroix , in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts .

Die Impressionisten begannen das Schwarz aus den Schatten zu verbannen und öffneten das Tor zur Verwendung der reinen Farbe.

Weiter über Gauguin und van Gogh, sowie die von diesen Malern stark beeinflussten Künstler des deutschen Expressionismus und des französischen Fauvismus , wurde zunehmend die Farbe von der Naturwiedergabe befreit.

Sie entwickelte eine Eigenständigkeit. Sie wurde schrittweise von der Funktion der Beschreibung der Gegenständlichkeit entkoppelt und in die Darstellung ihrer eigenen Stofflichkeit überführt. Und das über verschiedene Spielarten der Abstraktion bis zum abstrakten Expressionismus der 50-er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Dann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelte sich wieder ein eher skeptisches Verhältnis zur Farbe, sodaß sich die Moderne, eigentlich bis heute, bezüglich der Farbe, eher Verhalten einrichtet.

Dieser Skeptizismus gegenüber sinnlichen Farbeffekten wurde insbesondere von Kunstrichtungen getragen, die unter der Begrifflichkeit wie Postmodernismus, Konzeptkunst, oder dem allgemeineren Begriff der Avantgarde geführt werden.

Ganz augenfällig ist der Widerstand gegen Farbe in der westlichen Design- und Modewelt (Stichwort Armani). Auch bei der Gestaltung unserer Häuser und Wohnungen dominieren ebenso Grautöne und schlammige Abwandlungen von Mischfarben. Oder schauen Sie sich auf einem Parkplatz eines Autohauses um: schwarz, schwarz, grau, weiß und als farbliches Highlight ein Silber.

Nach der Befreiung der Farbe zu Beginn des letzten Jahrhunderts werden wir gegenwärtig, und das schon seit längerer Zeit, mit Farbverlust in der bildenden Kunst der westlichen Welt konfrontiert.

Eine nicht unerhebliche Anzahl von bildenden Künstlern betreibt Farbreduzierung bis hin zur Farblosigkeit, zum einen aus der Angst heraus, dem Dekorativen zugeordnet zu werden, und zum anderen aus der Hoffnung heraus, dem Werk so mehr Ausdruck von Kultiviertheit, Kompetenz und Intelligenz zu verleihen.

Sie verfallen in gewisser Weise wieder den Theorien der Akademien vergangener Jahrhunderte, mit dem Vorrang der Linie gegenüber der Farbe. Sie verfallen einem hartnäckigen Dogma in der westlichen Welt, einem Dogma, das kulturelle Bildung und Wertigkeit mit puritanischer Einstellung zur Farbe gleichsetzt.

Gennady Karabinskiy ist als Künstler diesem Dogma nicht verfallen.

Er bespielt in herausragender Weise die Klaviatur der Farben und komponiert über heitere bis melancholische Farbakkorde Bilder, die unmittelbar Resonanzen im Empfinden des Betrachters hervorrufen.

Über einzigartige Farbharmonien entwickelt der Künstler Bildinhalte mit symbolistischer Prägung. Menschen und Gegenstände des realen Lebens werden auf poetische Weise verformt, gedehnt, verändert, irreal komponiert und erfahren dadurch eine Intensivierung ihrer Darstellung und der Erzählung, die dahinter steht. Erzählungen, die im jüdischen Glauben ebenso wurzeln wie im russischen Leben, und die möglicherweise auch das Leben in der neuen Heimat allegorisch benennen.

In vielen Bildern steht der Mensch im Zentrum der Erzählung und allen ist der Blick aus übergroßen Augen gemein. Über die Augen als Spiegel der Seele, neben Mimik und Gestik, gewinnt der Betrachter eine Möglichkeit, dem Treibsatz des Gezeigten näher zu kommen und gelegentlich das zwinkernde Auge des Künstlers wahrzunehmen.

Diese Ausstellung verleitet in der Betrachtung nicht zum schnellen Vorbeihuschen. Es gibt viel zu entdecken, es gibt viel zu fühlen und es gibt die Möglichkeit zu reflektieren, vielleicht auch über die Welt in uns.

Dr. Ewald Bettinga - 1.Vorsitzender, Kunstverein Aurich e.V.

www.kunstverein-aurich.de