<-press
2011

Einführungsrede zur Ausstellung Gennady Karabinskiy in der Galerie im Heuerhaus / Dötlingen (Fragment)

Claus Diering

...Gennady Karabinskiy führt uns mit seinen Bildern in seine ganz eigene Welt, die uns seltsamerweise fremd und vertraut zugleich vorkommt.

    Der erste Eindruck ist der einer überwältigenden Farbkraft, Farbe als ein dynamisches Ereignis, das nicht mehr an reale Gegenstände oder Inhalte gebunden ist.

    Werfen wir einen Blick auf das Bild von der Einladungskarte, das hier gleich neben der Eingangstür hängt: Wir erkennen eindeutig einen Kopf, der möglicherweise von einer Maske verdeckt ist, die der Künstler sich vor das Gesicht hält. Die Hand in der Mitte des oberen Bildrandes lässt diese Deutung durchaus zu. Mit der Wiedergabe der sichtbaren Wirklichkeit hat dieses Bild allerdings nichts mehr zu tun, Formen und Farben sind frei geworden und unterliegen nur einer neuen, vom Künstler gesteuerten Gesetzmäßigkeit. So ist z.B. der Farbwechsel von Blau-Grün Tönen des Auges im rechten Bildteil zu Rot-Orange im Auge der linken Seite nicht das Ergebnis einer Darstellung von Schattenpartien, sondern die  Entscheidung des Künstlers  für einen Komplementärkontrast. Diese Entscheidung lässt sich in den meisten der hier gezeigten Bildern nachweisen, wobei der Kontrast nie  zu dominant oder grell ausfällt. Wenn wir genau hinschauen, dann sehen wir, dass die Farbe immer wieder innerhalb der einzelnen Farbfelder moduliert und differenziert wird. Farbe wird frei, ist nicht mehr an vorgegebene Form gebunden  und kann somit zum farbigen Licht werden, das die stoffliche und räumliche Grundlage des Bildes mit einer faszinierenden Strahlkraft  förmlich überflutet. „Farben sind Taten und Leiden des Lichtes“, hat Goethe gesagt. Diese besondere Steigerung der reinen Lichtwirkung der Farben entsteht, wenn hell leuchtende auf hellen und dunkel leuchtende auf dunkleren Farben stehen, also nicht hell in dunkel und umgekehrt. Die Kontraststellung in der farbigen Welt stabilisiert den Bildraum und in den fließenden Übergängen der Farbmodulation entsteht auch in der Farbe die Bewegung.

    Gennady Karabinskiy beherrscht als Maler  den Umgang mit Farben, aber seine Bilder zeigen uns weit mehr: es öffnet sich ein Kaleidoskop von Bildern und kleinen Geschichten im Bild. Dazu gehören Menschen, Köpfe, Häuser, Pflanzen, Bäume Tiere, Vögel und auf einem Bild im hinteren Raum auch ein ruhender Hund. Der Hund gehört zu den Tieren, die nach jüdischem Verständnis unrein, also  nicht koscher sind, weil sie weder Wiederkäuer sind, noch gespaltene Hufe haben. Dies zeigen  deutlich, wie ein Warnsignal,  seine Pfoten. Der rote Hund ist nur scheinbar harmlos, er liegt zusammengerollt auf einer Decke, seine Augen beobachten den Betrachter, seine Rute ähnelt eher einer Schlange. Wir können nicht eindeutig sagen, was es mit diesem Tier auf sich hat, in den Bildern von Gennady Karabinskiy ruht auch  immer ein Element des Geheimnisvollen , etwas , was nicht gleich zu entschlüsseln ist oder sich unserer Deutung  vielleicht auch ganz entzieht. Manchmal erhalten wir Hinweise durch Bildelemente, die eine symbolische Bedeutung haben. Die Flöte oder Trompete, die an eine Abwandlung des Schofarhornes erinnert, eines  Widderhornes , das von dem Schofarbläser in einer religiösen Zeremonie nach festen Regeln geblasen wird. Oder der  Vogel , der auf der Schulter eines Menschen sitzt. Ist es ein Symbol für die Seele,  die davonfliegen kann oder vielleicht  eine Anspielung auf Namen jüdischer Frauen, wie etwa „Vögele“, „Taube“ oder „Täubchen“?

     Zweifelsohne hat die Bilderwelt Karabinskiys Berührungspunkte mit der jüdischen Kunst. Ähnlich wie Marc Chagall benutzt er jüdische Elemente in seiner Kunst, schildert dabei aber keineswegs jüdische Lebensweisen. Die Szenerien seiner Bilder sind frei arrangiert, sie bringen häufig divergente Elemente zueinander, Figuren, Landschaft, Häuser, Blumen und symbolbesetzte Gegenstände verschmelzen miteinander und halten das Bildereignis in einem Schwebezustand zwischen Realität und Traumwelt. Dabei geht er sehr frei mit den gewohnten Größenverhältnissen, Proportionen und Perspektiven um und erschafft eine neue Wirklichkeit, eine Bildwirklichkeit,  die ihren Ursprung in der inneren, geistigen Welt des Künstlers hat. Man kann sagen, dass    seine Kunst eine Schnittstelle von Abstraktion und Konkretion darstellt,  und dabei ist Karabinskiys Welt reich an Symbolen, auch Gefühlen wie Traurigkeit, Furcht oder Freude, manchmal auch Ironie. Entdecken Sie, meine Damen und Herren, wie die Dinge ihre Eindeutigkeit verlieren, wie sie sich verwandeln: die Trompete wird zum Stängel einer Pflanze oder umgekehrt und der Granatapfel im Stillleben der Einladungskarte  verweist mit seiner Krone am Stiel der Frucht auf die Krone der Torarolle.

    Die Kunst Gennady Karabinskiys hat, wie sie im Kabinett sehen können, auch im kleinen Format und in der Zeichnung ihre Größe.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss: vollenden Sie nun als Betrachter, was die Künstler angelegt haben, denn erst im Zusammenspiel von Werk- Künstler und Betrachter schließt sich der Kreis.

15.Mai 2011, Galerie im Heuerhaus, Dötlingen  

©claus diering 2011