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2003

Die stumme Zwiesprache unserer Seelen

Dmitriy Kolomenskiy

Die stumme Zwiesprache unserer Seelen

Ein Auszug aus einem Artikel von Dmitriy Kolomenskiy (Sankt-Petersburg)
Überarbeitet in deutscher Sprache von Victor Lis (Hannover)



"Niemand kann die stumme Zwiesprache unserer Seelen vernehmen"
Michail Yasnow

Das Wesentliche hat der Künstler Gennady Karabinskiy in seinem Leben erreicht: Seine eigene Welt aufzubauen, seinen eigenen Weg zu gehen und ein großer Meister zu werden. Das ist die entscheidende Aussage.

Ob als künstlerisches Mittel er die Zeichnung mit der Feder wählt, ein schwarzes oder farbiges Pastell, Gouachen, Ölbilder - in jeder dieser Techniken bewegt er sich sicher und wie selbstverständlich. Das Erste, was bei betrachten seiner Werke ins Auge fällt ist ihre Schlichtheit. Es ist eine verträumte Schwerelosigkeit, die sich der Persönlichkeit dieses eigenwilligen Meisters vorerst entzieht. Eben diese Techniken ermöglichen es Gennady Karabinskiy, seinen Visionen von der Erschaffung einer verzauberten Welt in Bildern treu zu bleiben und sie umzuwandeln. Es sind nur eine oder zwei Gestalten, selten mehr, die seine Aufmerksamkeit erregen und zum Leben erweckt werden.

Von der sklavischen Abhängigkeit, was die Proportionen angeht, hält er nicht viel. Er zerstört sie mutwillig und entfernt organisch geordnete Beigaben aus ihrem natürlichen Umkreis. Das Ergebnis dieser Vernichtung ist überraschend. Diese geraubten Gegenstände zerfallen nicht, geschweige, dass sie aus der Statik gerissen zerbrechen. Natürlichkeit und ihre Ganzheit werden auf diese Weise eher abstrahiert und wieder zurück gewonnen.

Der Künstler fügt seine Welt aus einzelnen, sich häufig wiederholenden Details zusammen. Die Helden dieses Meisters sind Vögel, Fische, Menschen, Kerzen im Abendsonnenschein, Kirchen und Häuser. Einem Kaleidoskop gleich werden die neu zusammengestellten Elemente immer wieder zu selbständigen Kompositionen, die zugleich noch eine andere Besonderheit überraschend enthüllen. Keinesfalls ist der Meister bestrebt, den Bereich seiner Themen beliebig auszudehnen. Vielmehr arbeitet er in der Tiefe des jeweils geschaffenen Raumes. Und es ergibt sich, dass dieser Raum grenzenlos geworden ist.

Karabinskiy’s Stilmittel sind der modernen Welt angepasst. Diese Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil die Gegenwart selbst die Basis seiner Selbstdarstellungen ist.

Zweifelslohne identifiziert er sich in dieser Schaffenskraft mit der jüdischen Kunst. Aber anders als so manche Interpreten jüdischen Ursprungs hat Karabinskiy mit seinen Werken sich diesen Status als jüdischer Maler erworben. Wobei zu erkennen ist, dass die Bilder mit dieser Genesis primär sich überhaupt nicht auseinandersetzen. Seine jüdischen Motive haben in den Gemälden eine modifizierte Definition erhalten. Das sind spezifische Details, Gesichtszüge, Wesensarten dieser Helden und der Gegenstände. Unverkennbare Eigenschaften die sich aus seinen Werken, der Art seiner Zeichnungen herauslösen.

Gennady Karabinskiy sollte somit als jüdischer Maler eingeordnet werden, nicht aber als Chronist und Illustrator jüdischer Lebensweisen. Gleichsam etwa mit Marc Chagall macht er sich diese jüdischen Elemente zu Eigen. Er benutzt sie auf seine eigenständige Weise, nicht als Epigone, sondern als ein selbstbewusster freier Maler.

Chagalls künstlerische Ausstrahlung entstammte aus der Zeit eines mächtigen Judentums. Gennady Karabinskiy, der siebzig Jahre später geboren ist, hat diese prachtvolle Welt niemals kennen gelernt. Was er erblickte und nachvollziehen musste, das waren die Ruinen einer verlorenen Ära. Nur auf diese Weise lässt sich der fragmentarische Eindruck seiner Bilder erklären. Übrig geblieben sind die Scherben einer einst „herrlichen Epoche“.

Und genau dieser veränderte Zeitgeist bildet den Unterschied in der Kunst dieser beiden Persönlichkeiten. Die von Karabinskiy geschaffene Welt hat ihren Ursprung in der Realität der Gegenwart. Diese neue Welt lässt jeden Hintergrund vermissen. Und wenn, dann ist er nur bedingt erkennbar. Zu erblicken ist einfach nur eine Wand, ein Fußboden oder nur die einsame Leere, dort wo sich die Gegenstände befinden. Wir betrachten sie, und mit unseren Augen werden sie lebendig. Sie gestalten sich zu Erinnerungen an eine zerstörte Welt und zu Hauptdarstellern der Welt von Karabinskiy. Es erweckt den Anschein, als ob diese Gegenstände wahrhaftiger zum Leben erweckt worden sind als die Menschen selbst. Der Künstler verzichtet somit auf eine realistisches Portrait der Menschen, weil eigentlich er sie gar nicht darstellen will, sondern nur die Erinnerung an ihre Existenz. Er symbolisiert quasi seine Menschen. So sind im Gegensatz zum Realismus bei der hier praktizierten Kunst des Modernismus bei Karabinskiy stets eben jene Symbolwerte zu erkennen.

Es fügt sich, dass seine Gestalten niemals agieren können. Sie erwecken nur diesen Anschein. Nur auf diese Weise erhalten die Figuren ihre natürliche Ausstrahlung.

Es ist uns zu Eigen geworden, Bilder emotional zu betrachten. Wir nehmen diese naiven, schutzlosen Gestalten, die Vögel und weisen Fische naturgemäß mit menschlichen Augen wahr. Dabei entsteht das Gefühl eines Schauers, das sich über diese Schöpfungen ausbreitet. Dieser Prozess ist das philosophische Bekenntnis eines ungewöhnlichen Meisters. Der Künstler hat seinen Werken einen Hauch von Nostalgie verliehen. Sie verbreitet sich über alle Epochen menschlichen Gefühlslebens. Gleichfalls lassen sich die Bilder über alle Zeitgeschehen definieren und begreifen. Also haben sie sich von der Zeit gelöst. Sie existieren einfach ohne Zuordnung.

Gennady Karabinskiy blickt nicht zurück. Er beäugt nicht argwöhnisch seine Zeitgenossen, sondern ist seiner eigenen inneren Welt zugetan. In ihr ist er unermüdlich und besessen tätig. Er selbst kann den Schauer, der sich beim Betrachten seiner Bilder über uns legt, nicht fühlen. Aber gottlob kann dieses Wohlbefinden von uns Besitz ergreifen und uns faszinieren.