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2017

Vorgefühl der Freiheit

Fabian Schmitz

Ein Ausstellungstitel wie der Frühling, der gerade Einzug erhalten hat. Die Zeit des Jahres, in der Neues beginnt, alles sprießt und blüht und wir voller Tatendrang nach außen streben. Es ist auch die Zeit des Jahres, in der wir ein Vorgefühl dessen haben, was bald sein wird, was sein könnte, wer wir sein könnten. Die Möglichkeiten der Zeit liegen spürbar vor uns. Und so ist es auch mit den Bildern Gennady Karabinskiys, die hier versammelt sind. Sie lassen die facettenreichen menschlichen Vorgefühle Farben annehmen.

Sie stellen in den Portraits Menschen dar, die in diesem frühlingshaften Dazwischen stehen. Manchmal hoffnungsvoll, manchmal zwiespältig loten sie über ihre Farben und Körper die inneren Gefühlslagen der dargestellten Personen aus. Es sind dies die existenziellen Momente des Übergangs wie bspw. der von der Kindheit zum Erwachsenenalter, wie er im Ausschnitt des Plakats zum Ausdruck kommt. Fragend blickt die Frau uns an. Sie weiß nichts mit dem geschminkten, geschmückten und adrett, aber in einem kalten Blau gekleideten Körper umzugehen, indes der Teddybär in der Bildkomposition daneben sitzend, aber dennoch abgeschieden die emotionale Wärme einer vergangenen Zeit in seinem Rotbraun suggeriert. Wieviel Mädchen mag in ihr noch stecken? Wer soll sie nun sei? Die gleiche Frage stellen diemelancholisch blauen Augen im Gesicht einer vermeintlich älteren Frau. Lädt das Schaukelpferdchen neben ihr zum Spielen ein, deutet die übergroße kindliche Schleife im Haar die Überreste einer Jugend an, so ist es hier der Körper, die übergroßen roten Füße, die das Gehen und Stehen, das erwachsene Ich-Sein ungelenk verunmöglichen. Es sind nicht die verlorenen Paradiese der Kindheit, die nostalgisch beklagt werden. Vielmehr steht die Ganzheit des menschlichen Daseins mit all seinen künstlichen Trennungen in Frage, wie derjenigen zwischen Erwachsenenalter und Kindheit, der hier mit der symbolischen Verspieltheit und Poesie der Farben begegnet wird.

Einen anderen Zwischenraum voller Vorgefühle eröffnen die Portraits zwischen sich und uns, ihren Betrachtern. Kindlich verträumt blickt uns der Junge mit seinem Sieb auf dem Kopf an und hält uns seinen Beerenzweig entgegen. Ver-rückt, abgerückt von der Norm, aber dennoch warmherzig fordert er uns auf, die kleinen poetischen Verrücktheiten, die abseitigen mal nicht konformen Vorgefühle im erwachsenen Alltag wieder zuzulassen. Oder auch Celia, diese selbstbewusste Frau die mit ihrem offenen Blick uns herausfordert – aber zu was eigentlich genau? Ganz eindeutig sind diese ersten Gefühle nicht. Sollen wir sie anschauen? Diese sich exponierende jüdische Identität, die in vielen Portraits die Physiognomien der Personen prägt, sie provoziert in ihrer Präsenz. Blickt man aber genauer hin, da bemerkt man das Celia bereits eine Hand von ihren Handschuhen entblößt hat und bereit zum Gruß uns in ihre Welt einladen wird. Unsere anfängliche Verunsicherung kann einem neugierigen Vertrauen weichen. Dieses wiederum wird in ganz andere, aber nicht weniger frühlingshafte Richtungen verlockt, wenn uns ein Mädchen in roten Strümpfen an Haltern, die etwas Bein zur bübischen Hose mit Hosenträgern entblößen, keck entgegenschaut.

Das Jüdische ist aber auch dasjenige, des ziellosen Wanderns, der Diaspora, die auch einer dieser frühlingshaften Zustände des Dazwischen darstellt, wo die Welt in einer Obstschale jederzeit mit sich geführt werden kann. So schiebt auch ein Jude seine Heimat in seiner Schubkarre vor sich her, ohne dass er sie je irgendwo abladen oder ihr einen Ort wird zuschreiben können. Dabei wird er von den Klezmer-Musikern begleitet und man meint bereits die zwischen ausgelassener Fröhlichkeit und tiefer Trauer changierende Musik zu hören, zu der der kleine Mops lustvoll herumtollt. Ist der Lebensweg beschwerlich, so wird er verheißungsvoll begleitet von den süßen Früchten, mit denen die Heimat in der Schubkarre gespickt ist. Dies alles ist Ausdruck einer Situation divergierender Vorgefühle auf der Suche nach Formen der Freiheit. Die Frage der Freiheit stellt sich auch für die beiden Brüder die uns über ihre Schulter zurückblickend anschauen. Auf was für eine Vergangenheit schauen sie zurück? In welche Zukunft und welche Freiheit werden sie gehen? Gibt es Freiheit ohne Verantwortung? Merkt man ihnen spürbar die Last einer eben großen Verantwortung und die blauweiß schimmernde Ungewissheit ihres Weges an, so leuchtet doch aus der Bildmitte diese süße reife rotgelbe Birne, die uns und ihnen eine kleine Hoffnung verspricht.

So kondensieren sich in den Portraits Gennady Karabinskiys wie bereits in seinen Ölminiaturen nicht nur Motive, Landschaften oder Gesichter. Vielmehr sind es die Blicke der Tiere und Menschen, die einen Ausdruck, ein abwartend herausforderndes Vorgefühl der Freiheit und Farben uns, ihren Betrachtern schenken.

Ich wünsche uns allen nun viel Freude beim Betrachten der Bilder das Spüren der unterschiedlichsten frühlingshaften Vorgefühle und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Zur Vernissage der Ausstellung "Vorgefühl der Freiheit" von Gennady Karabinskiy in der Galerie Vinogradov v. 2.04 bis zum 13.05.2017